Karneval in Braunschweig: Weg von der Großdemo

Interview Szene-Bilder 2019:

Robert Glogowski engagiert sich wesentlich für den Schoduvel, den Braunschweiger Karneval. Nicht nur im Rahmen der „Freibeuter“, sondern auch darüber hinaus setzt sich Glogowski für die Entwicklung der Thematik in der hiesigen Region ein. Wir trafen ihn im Vorfeld des diesjährigen Schoduvels für ein Interview.

Robert, du setzt dich umfassend für den Braunschweiger Karneval ein. Wie würdest du den Reiz für das Thema beschreiben?

Im Karneval geht es um viel Menschliches, was es in dieser Form bei anderen Festen nicht gibt. Zum Beispiel darum, dass alle gleich sind. Ob Chef oder Angestellter, ob jung oder alt, ob schlau oder dumm – im Karneval sind alle Menschen gleich. Es ist eine wunderbare Sache, dass ausgerechnet in der kalten und dunklen Jahreszeit ein Fest gefeiert wird, das derart bunt und warm ist. Kein Marketingexperte hätte so ein Fest in den Winter gelegt. Karneval ist echtes authentisches Brauchtum mit heilender Wirkung: einmal wer anders sein können, einmal über sich selbst lachen.

Wie bist du damals für das Thema „infiziert“ worden?

Als Kind musste ich mit meinem Bruder am Rosenmontag morgens möglichst langsam machen – „zöggeln“ –, meine Mutter rief dann ohnehin irgendwann „einpacken, wir fahren zu Oma“, ins Rheinland. Ich weiß nicht, was sie dann der Schule als Entschuldigung geschrieben hat. Meine Karnevalssozialisation war der Dorfumzug in Oberpleis. Später wurde ich zu einem der gefürchtetsten Kamellejägern am Braunschweiger Zug.

Wie hat sich das Thema Karneval in Braunschweig aus deiner Sicht in den vergangenen Jahrzehnten und vor allem Jahren entwickelt?

Meine damalige Freundin hat mir den Hals umgedreht, als ich sie dazu gebracht hatte, verkleidet zum Zug zu gehen. Die Leute wussten gar nicht wo sie hinsehen sollten: zum Zug oder zu uns einsam verkleideten. Heute ist alles anders, alle am Zug sind in den verrücktesten Kostümen und feiern. Und die starre Gesellschaftsstruktur im Zug verändert sich, immer mehr einzelne Gruppen bauen einen Wagen und fahren mit. Und es bedarf schon einiges, diesen finanziellen und zeitlichen Aufwand zu stemmen.

Steckt dem hiesigen Karneval die Absage vor ein paar Jahren noch „in den Knochen“, was würdest du sagen? Hat sich seitdem etwas geändert?

Der Karneval wird vor allem von Menschen belächelt, die noch nie dabei waren. Die Absage war so schockierend, weil sie allen in der Region plötzlich bewusst machte, wie nah die Welt an uns ist. Danach gab es ein große Solidarität mit den Narren. Für den Karneval war es ein Impuls zur weiteren Entwicklung. Zur Zeit schwebt das Sicherheitskonzept als höhere Gewalt darüber, aber höheren Gewalten hat der Karneval immer überlebt.

Mitunter wird in der allgemeinen Öffentlichkeit kritisiert, dass viele – vor allem junge – Menschen den Anlass Karneval als Alibi nutzen, um sich zu betrinken und vor allem daneben zu benehmen. Wie beurteilst du das?

Das ist der Sinn von Karneval: unmäßig trinken, zu viel essen und unanständig lieben – denn am Aschermittwoch ist Schluss mit lustig, dann beginnt das Fasten. Schon im Mittelalter hat man sich über die „Gelage und die Hurerei“ in den Straßen aufgeregt. Naja, ganz so ruhig geht das nicht ab. Was ich aber zutiefst ablehne, sind die oft unverkleideten Gruppen, die gar nicht zum Karneval gehören – die erlebe ich ab und zu vom Wagen. Aggressivität, Komasaufen, Pöbeln: Das gehört nicht zur Karnevalskultur. Die große Masse lässt sich das auch nicht mehr gefallen. Eine gute Feierkultur im Karneval reguliert auch diese unangenehmen Ausnahmen.

Oberbürgermeister Markurth wünscht sich immer wieder, dass der Karneval zur Karnevalszeit auch stärker im regionalen Handel und der regionalen Gastronomie gespielt und aufgegriffen wird. Welches Potential siehst du da noch?

Der Karneval ist eine grüne Wiese für Unternehmen. Einige bedienen sich hier schon seit Jahren, viele allerdings verstehen gar nicht, welche Potenziale hier offen sind. Im Rheinland heißt es „Karneval der Kaufleute“: Da ist Karneval ein großer Moment für Geschäfte. Eine Stadt wie Braunschweig muss diese Entwicklung mit anleiten, das kann man nicht den Ehrenamtlichen im Karneval überlassen. Wie wäre es mal mit einem Gastronomiekonzept der Stadt? Für unsere Region ist der Karneval ein großes Geschenk. Wenn alle, die einen Vorteil aus dem Karneval ziehen, diesen auch mitfinanzieren, wird der Karneval immer toller und der Standort immer attraktiver. Alle Unternehmer, die hier mit einer Kiste Bier dabei sind, sollten noch mal in sich gehen, ob da nicht mehr drin ist.

Was würdest du sagen, welche Bedeutung hat der Braunschweiger Karneval auf Seiten der Politik und Verwaltung?

Der Karneval hat gefühlt den Status einer Großdemo. Die Karnevalsvereine im KBK (Komitee Braunschweiger Karneval) bekommen die Genehmigung für einen „Demonstrationszug“, dafür wird abgesperrt und die Polizei sichert alles. Um 18 Uhr ist die Veranstaltung zu Ende – „bitte räumen Sie die Straße“. Da ist jede Mummemeile besser beworben und mit Aktionen in der Stadt ausgestattet. Die Politik nutzt den Karneval sehr ausgiebig um dabei zu sein. Die Stadt ist wohlwollend. Ich denke es ist an der Zeit, den Karneval ein ganzes Wochenende zu feiern, alle einzuladen und es auch über die Region hinaus zu bewerben.

Was wünscht du dir für den Karneval, beispielsweise infrastrukturell – oder auch generell?

Was ich persönlich für den Zug gut finden würde, wäre eine neue Zugstrecke durch die Innenstadt, vorbei an den offenen Restaurants mit geschützt stehenden Zuschauern, vorbei an den schönen Stellen der Innenstadt. Und wenn wir beim Wünschen sind: eine Fernsehsitzung mit unseren besten Rednern und Bands, live aus Braunschweig.

Neue Generationen haben stets wechselnde Wünsche oder Ansprüche an Themen, Veranstaltungen. So auch beim Karneval. Wie kann die Generation Y und später auch die Generation Z in der Löwenstadt für den Schoduvel begeistert werden?

Im Herzen gibt es in jeder Generation die gleichen Ängste, Sorgen und auch Freuden. Der Karneval ist kein Event, er ist eine Institution – seit 1000 Jahren. Jede Generation kann ihn nutzen um sich darin zu spiegeln, wie bei Eulenspiegel, und einen Moment über sich und seine eigene Situation zu lachen. Dafür muss aber jede Generation eine Möglichkeit zum Miterleben haben, deshalb ist es wichtig, dass der Karneval weiter in unsere Region hineinwächst. Die jüngere Generation liebt es sich zu verkleiden, Träume zu leben und mit anderen Menschen zu feiern. Handgemachtes, Individualität, einmal Hero sein: Im Straßenkarneval ist das alles drin.

Abschließend: Worauf freust du dich in diesem Jahr besonders?

Die Braunschweiger Freibeuter laufen eine Woche nach unserem Karnevalszug in Nord-Mazedonien im größten Karneval des Balkans mit. Meine Truppe ist unglaublich motiviert, das werden auch alle in unserem Zug erleben. Mein persönliches Highlight: Wir haben meine geliebten Dudelsäcke und Trommeln dabei. Ganz große Gefühle!

Foto: Robert Glogowski, „elCommandante“ der Braunschweiger Freibeuter, mit seinem Offizier Wolfgang Hesse bei letzten Absprachen kurz vor dem Zugstart. Bildnachweis: Rainer Schöensee.

Autor / Credits: Falk-Martin Drescher